Startseite

Gedichte

Kurzgeschichten

Autoren
►  Bär, Christine
►  Bansen, Bruno
►  Büchler, Helmut
►  Hadulla, Werner
►  Hasse, Wilhelm
►  Hohmann, Ulli
►  Karst, Claus
►  Kieber, Jutta
►  Kriegler, Harald
►  Menard, Lutz
►  Mößner, Bernhard
►  Müller, Hendrik
►  Paffrath, Günther
►  Possehl, René M.
►  Spröhr, Inge

Karikaturen

FORUM

LESERMEINUNG

Kontakt

Impressum

Autorentreffen

KlapphornClique

 

Kurzgeschichten von Harald Kriegler

 
Seiten: Menschliches Leute Illusionen Kurzprosa Kurzprosa Kurzprosa Kurzprosa

 

Fleischeslust und -leid

 

Seit Kalle Fleischmann die schrecklichen Bilder von zusammengepferchten Schweinen in

einem Koben, halbverendeten Delfinen in Netzen und von BSE gezeichneten hin und her

taumelndenden Rindern gesehen hatte, beschloss er, dass kein Leichengift mehr in seinen

Körper gelangen sollte. Fleischmann wollte Vegetarier werden und es vielleicht sogar zum

Veganer schaffen, aber es war ihm durchaus bewusst, dass es bis dahin ein dornenreicher

Weg ist und es noch lange dauern würde, bis sich seine Tagesration an Nahrung aus einer   Vogelfutterhandlung bestreiten liesse.


Anfangs fiel ihm die Umstellung auf vegetarische Kost schon sehr schwer, denn bislang war sein

Name Programm gewesen und Fleischmann ein gern gesehener Kunde in den Wurst- und Fleischwarenabteilungen der Supermärkte.
Aus Müsli am Morgen, Tofu zu Mittag und als besonderer Leckerbissen Grünkernbulette am

Abend bestanden fortan seine Mahlzeiten. Mit knurrendem Magen ging Kalle zu Bett. In seinen

wirren Träumen tauchten zwar nicht die Fleischtöpfe Ägyptens auf, aber rosige Eisbeine und leckere

Bratwürste geisterten schon durch sein Hirn. Erst allmählich ließ die Fleischeslust nach.
Aus dem zu fast lebensbedrohlichem Übergewicht neigenden Fleischmann war ein asketisch

wirkender und wesentlich jünger als 35 Jahre aussehender Mann geworden. Dadurch stiegen

auch seine Chancen bei der Damenwelt, und seit kurzem war er mit der Fast-Veganerin

Elli Schmalfuss liiert. Kennengelernt hatten sie sich in einem Tofu-Spezialrestaurant,

das bei seiner Eröffnung mit dem Slogan „Fleisch macht krank -Tofu schlank“ in der

Lokalzeitung geworben hatte. Kalle Fleischmann und Elli Schmalfuss lebten in einer

Grossstadt, Kalle wohnte noch noch bei seiner Mutter, und Elli Schmalfuss logierte in einem

Ein-Raum-Appartement.

„Ach wäre das schön, ein Häuschen im Grünen zu besitzen und fernab dieses Molochs von

Stadt zu leben“, seufzte Elli eines Tages. „Wir könnten alles mögliche anpflanzen und wären

nicht mehr den Verlockungen diverser Fisch- und Steakrestaurants ausgesetzt“, meinte Kalle.


Kurzum, beide kratzten ihre Ersparnisse zusammen und mieteten sich eine auch im Winter

bewohnbare Laube inmitten eines großen Gartens.
Es war die Idylle pur. Bis, ja bis sich der Nachbar zur Linken eines Tages für sein Hühnervolk

inen jungen Hahn zulegte. Elli weckte Kalle gegen 7 Uhr bislang mit einem nach Honig-Müsli

riechendem Kuss. Damit war es vorbei, denn der Hahn des Nachbarn schien bei seinem

Hühnervolk nicht ausgelastet zu sein, oder seine innere Uhr tickte wie das ganze Tier auch

nicht richtig, und dieser Störenfried begrüsste den noch nicht mal angebrochenen neuen Tag

mit einem Gekrähe, das glatt die Trompeten von Jericho übertönt hätte. Elli störte das nicht

ganz so, denn sie war eh eine Frühausteherin, aber Kalle Fleischmann litt wie ein Tier in

einem zu engen Käfig unter dem infernalischen Krach, den der Hahn jeden Morgen veranstaltete.

Auch die Beziehung zu Elli verlief nicht mehr ganz so harmonisch, denn Kalle trank hin und wieder

ein Schälchen Milch und ass am Wochenende mal ein Ei. Elli hingegen lehnte dies kategorisch ab,

denn sie wollte überhaupt keine tierischen Produkte mehr zu sich nehmen.
Fleischmann legte sich nun schon gegen 21 Uhr zu Bett, stopfte sich Stöpsel in die Ohren,

aber in Erwartung des Höllenlärms bei Tagesanbruch schlief Kalle fast so gut wie gar nicht mehr.

Er magerte noch mehr ab und selbst das leckerste Gurkensüppchen, das ihm Elli zubereitete,

schmeckte nicht mehr. Der Hass auf den terroristischen Hahn wuchs ins Unermessliche.

So wie Fleischmann die Tiere bedauert hatte, so fokussierte sich seine Abneigung nun gegen

diesen anmaßenden Gockel, der keinerlei Rücksicht auf sein Schlafbedürfnis nahm.


Eines Tages, als Elli zu einem Kongress der angehenden Veganer reiste und auch der Nachbar

abwesend war, lockte Kalle den Hahn mit fetten Maiskörnern auf sein Grundstück. Voller Wolllust

schnitt er dem stattlichen Tier die Kehle durch. Plötzlich überfiel Kalle ein Heisshunger auf

fleischliche Kost. Von seiner Mutter, die vom Lande kam, hatte Kalle gelernt, wie man einen

Hahn rupft. Nachdem er das Tier noch ausgenommen und die Federn sorgfältig vergraben hatte,

kochte er sich eine kräftige Hühnerbouillon. Gierig verzehrte er das schmackhafte Süppchen.

Da ihm das noch nicht genügte, orderte er per Telefon bei einer Brathähnchenbude noch zwei

Hähnchen, welche er auch noch genüsslich verzehrte.


Nachdem er seine Siebensachen gepackt hatte, nahm Kalle einen Stift und schrieb auf ein

Blatt Papier: „Liebe Elli, bin rückfällig geworden und ziehe wieder zu meiner Mama.

© Harald Kriegler

 

zurück Seite -3-
 

 

 

weiter Seite  -5-