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Gedichte von René Maria Possél

Lyrik

Seite 1 2 3 4 Prosa    

 

Das Lied des Dichters Paul Gerhard

zum 400. Geburtstag

 

Der du die Protestanten,
die Gottes Worte kannten,
sie singen hast gelehrt,

daß trockne Verse klangen
und fromme Herzen sprangen –
sei du uns heut geehrt!

Gabst Lieder unsern Seelen
und Laute den Gefühlen –
ob Freude oder Leid.

Hast Glaubenstrost gespendet
und Glaubenslust vollendet
in neuer Worte Kleid.

„Wach auf, mein Herz, und singe
dem Schöpfer aller Dinge...“
Du sangest himmelwärts.

„O Haupt voll Blut und Wunden,
o Haupt zum Spott umwunden...“
Du sangst der Christen Schmerz.

Du kanntest „Not und Schrecken,
die alle Welt bedecken“ –
du bliebst im Dunkel nicht.

„Auf, auf mein Herz mit Freuden...
wie kommt nach großem Leiden
nun ein so großes Licht“.

Mit dir tönt hell das Loben,
der Dank dem Vater droben,
das Bitten aus der Not...

Dein Lied wird noch gesungen
von Alten wie von Jungen –
dein Vers führt uns zu Gott.

 

 

Dass ich mitkomme

 

wenn mir die zeit
zu schnell vergeht
kriech ich zurück
auf der stundenspur
zu einem moment
der einmal war

ich sehe mir an
den augenblick
höre sein echo
taste die tiefe
koste von dem
was darin war

kehr ich zurück
liegt die gegenwart
unausgeschöpft da
dann wünsch ich mir
dass das leben langsamer laufe
dass ich mitkomme

 

 

Der Kirchenchor

 

Der Kirchenchor hat viele Stimmen.
Nicht alle stimmen, wenn er singt.
Mag auch der Einzelton verschwimmen –
das ganze Werk stets laut erklingt.

Die Damen, die nach Höh’rem streben,
sind sangesmäßig im Sopran.
Wenn ihre Töne nieder schweben,
kommt der Gesang am Ende an.

Die Herrn, die in die Tiefe gehn,
ganz unter uns: Das ist der Baß!
Er lässt oft dunkle Töne stehn
zum Ostinato – das macht Spaß!

Manch Stimme scheint, im Alt vereint,
auf einmal jugendlich zu klingen...
Die hörende Gemeinde meint,
da würden Alt die Mädchen singen.

Es schwingt empor sich der Tenor
in reichlich feminine Sphären.
Er kommt im Chor nur spärlich vor,
die Höhenlage mag’s erklären.

Der Dirigent sein Mundwerk kennt,
er kann in alle Lagen klettern.
Wenn seine Hand den Einsatz nennt,
beginnt der Chor sein Lied zu schmettern.

Zur Probe: Erst singt der Sopran -
er ist melodisch gerne führend.
Der Alt schließt unbemerkt sich an,
in mittellauten Tönen rührend.

Dumpf brummt im Untergrund der Baß;
das muss fürbaß verschlüsselt sein.
Auch die Tenöre singen was -
vielleicht nicht richtig, aber rein.

Gesungen wird, was sich gut hört -
mal mozärtlich, mal reiner Bach.
Auch Zeitgenössisches nicht stört,
ist es harmonisch nicht zu flach.

Der Kirchenchor hat viele Sänger!
Nicht alle singen, wenn es klingt.
Es stimmt der ganze Chor, je länger
ein jeder Sänger darin singt.

 

Shoa-Turm

(jüdisches museum, berlin)

 

ich stehe wie

im finstersten kamin

starr aus der tiefe zu dem schlitz

mit licht hinauf

 

so standen sie

und fuhrn als rauch dahin

löst sich nicht jeder gotteswitz

im rauch mit auf

 

 

verstehst du diesen schrei

aus stein nach ihm

zerschlägt des fernen gottes blitz

dein bild nicht auch




 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Gott-los


Was wäre, wenn ich glaubenslos erwachte,
und wenn für mich auf einmal Gott nicht wär’…?
Das Leben: Wär’ es anders, wär’ es schwer,
wie ich es bisher, glaubend, nie bedachte?

Wohin die Scham, aus Zufall da zu sein,
was tun mit meiner Sehnsucht, es gäb’ mehr,
den Fragen - antwortlos - Wohin? Woher?
Bin ich im All mit allem ganz allein?

Wem dank’ ich, wenn mir Gutes widerfährt?
Ist meiner Bitten Adressat bankrott?
Reimt sich zur Not nicht mehr das Wort:

Mein Gott?
Der Kindertrost „Es ist ja gut!“ - verkehrt?!

Wer löscht die schwarzen Schatten meiner Schuld
bewahrt die Scherben Leben in der Hand?
Wer schenkt mir Gnade, zeigt mir seine Huld,
wenn ich bei Menschen kein Erbarmen fand?

Hat Liebe, die mich hält, selbst keinen Halt?
Ist, wenn Gott nicht ist, alles mir erlaubt?
Wie bin ich, bin der Hoffnung ich beraubt?
Wird, wenn der Gottstrom nicht mehr fließt, mir kalt?

Bin ich von niemand mehr das Ebenbild?
Stimm’ ich mit meinem Photo überein?
Der Mensch in seiner Größe ist so klein…
Ob jenes Ziehen keinem Ziel mehr gilt?

Ach, werd’ ich jene nicht mehr wiedersehn,
die ich im Leben sah und die schon tot?
Was ist der Tod in Zukunft ohne Gott?
Kann ich mich auferstehungslos verstehn?

Gott ist mein Los und meine beste Karte.
Stellt sich heraus: Ich habe falsch gesetzt,
gilt, was ich glaubend Gutes tat, auch jetzt - weshalb getrost ich auf das Ende warte.

 

 

 

Lebenssatt

 

neunzig war sie
als sie starb
lebenssatt war sie
sagt man

alt sind sie
haben bis zuletzt
hunger nach leben
sagen sie

wie alt muss man sein
um endgültig
das leben satt zu haben
frage ich
 

 

Die Hände der Mona Lisa

 

auf deinen mund starrt schon so manch jahrhundert
dein lächeln ist der ganzen welt bekannt
weshalb es auch den kenner nicht verwundert
kein mensch beachtet weiter deine hand

hat leonardo seine leidenschaft
und kunst dir in den mund allein gelegt
hat er nicht mit derselben schöpferkraft
durch deine hände unser herz bewegt

da ruht sehr weiblich weich und ganz entspannt
vor deiner brust auf einen stuhl gelegt
die rechte leicht auf deiner linken hand
und beide wie dein lächeln unbewegt

die bloßen hände sprechen für dein wesen
sie zeigen sich zugleich beredt und stumm
nein arbeit kann man nicht an ihnen lesen
die hände andrer kümmern sich darum

die deinen möchten gern gehalten werden
vielleicht von einer männlich starken faust
die schwachen hände wissen wohl gebärden
wenn du als mann verlangend auf sie schaust

die hände vor dem leib oh leichte riegel
die mehr zum öffnen sind als zum verschluß
wie deine lippen nur ein blasses siegel
das aufgebrochen werden will im kuß

wer augen hat zu sehn der sieht verwundert
ein eignes leben außer deinem mund
vielleicht entdeckt ein anderes jahrhundert
noch mehr auf dem vergessnen untergrund

ach nehmen wir nur wahr was alle sehen
erkennen wir dich mona lisa nicht
soll dein geheimnis nicht darin bestehen
es gibt von dir viel mehr als dein gesicht

 

 

Lebensspuren

 

wir tragen deutlich im gesichte
die spuren unserer geschichte
in form von runzeln oder falten –
die einst als ehrenzeichen galten

es kann gesichtlich eindruck machen
hat man im leben viel zu lachen:
ein kleiner kranz von fältchen sitzt
ums auge denen, die verschmitzt

manch grübchen, leichter oder tief,
macht menschen menschlich attraktiv
nicht nur die männer, auch die frauen –
wenn sie zuerst ins antlitz schauen

es sprechen leider auch die kerben
von eines menschenleben scherben
ach, leid und unglück fragen nicht
sie graben sich in dein gesicht

so lässt das leben seine spur
am leib, nicht am gesichte nur
hat einer solche spuren nicht
hat er kein leben, kein gesicht

manch einer lässt sich operieren
die falten chemisch ausradieren
gegen die zeit gewinnt er nicht
verliert zuletzt nur sein gesicht

drum seid, ihr älteren und alten
gehörig stolz auf eure falten
verdecket nicht, was für euch spricht
tragt euer leben im gesicht

ihr habt ein ansehnliches leben
ihr habt den jungen was zu geben
wer euch anschaut, merkt sicherlich:
wir sind gezeichnet – strich für strich

für jedes menschenantlitz gilt
es ist gedacht als ebenbild
das urbild schaun wir einst im licht
von angesicht zu angesicht
 


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