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Gedichte von Wilhelm Hasse

Lyrik
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Das Lamentorium

 

Mein alter Freund, der coole Jule,
stets einfallsreich und arbeitsscheu,
betreibt jetzt eine eigene Schule
und scheffelt damit Geld wie Heu.
Er grüßte aus todschickem Wagen
ganz lässig: "Na, wie geht's denn so?"
Ich sagte: "Ach, ich kann nicht klagen,
nicht mal auf niedrigstem Niveau."

"Es gibt" sprach er, "für dein Problem
ein viel versprechendes System!"
Ich zweifelte, er winkte ab:
"Mein Junge, halt die Ohren schlapp!
Ich garantier, in ein paar Tagen
kannst du schon deutlich besser klagen.
Komm in mein Jammerseminar.
Das Honorar, das ist sogar
von deiner Steuer absetzbar."

So sprach zu mir der coole Jule;
ich fand den Vorschlag gar nicht dumm.
Tags drauf begab ich mich zur Schule,
in Jules "Lamentorium".

Ich war als Schüler nicht allein:
Welch trauriges Beisammensein
von trüben Tassen, Miesepetern,
Heulsusen, Schmollern, Leisetretern
und Sauertöpfen, Jammerlappen!
Ich musste erst mal was berappen,
dann gab man mir ein Taschentuch,
und trug mich ein ins Klassenbuch -
mit der Belehrung, ungefragt,
dass heute Wein-Zwang angesagt.

"Jetzt aber Schluss mit Lustig!" stand
auf einer Tafel an der Wand
und "Froh zu sein bedarf es wenig,
jedoch wer Trübsal bläst, ist König!"
Zwei Schüler spielten unterm Tisch
klammheimlich noch "Mensch ärger dich!"

Freund Jule stand mit dunkler Brille
und finstrer Miene vor der Klasse
und rief in die bedrückte Stille:
"Dem Pessimismus eine Gasse!"
Und alles heulte, greinte, jaulte:
"Achgottachgott, o jeminee!"
Man schimpfte, räsonierte, maulte -
und ich, als Trauerkloß in spe,
der doch dazu gehören wollte,
wenn jeder flennte oder schmollte,
ließ mich, nach zagem Augenreiben,
bald auch im Tränenflusse treiben.

Grad wie ein Feldherr in der Schlacht
gab Jule Zeichen und Parolen,
und wenn ein Schüler mal verstohlen
und - scheinbar unbemerkt - gelacht,
schrie Jule: "Mensch, komm mir nicht dämlich!
Hier wird gejammert, und zwar grämlich!
Es wird ein heitres Ende nehmen
mit dir. Du solltest dich was schämen!"

 

 

Darauf erhob sich ein Gezeter,
sogar der Lachsack musste winseln
und ließ in sein Lacrimometer
die dicksten Kullertropfen rinnseln.
Der Meister prüfte dann penibel
die Tränenproduktion von allen.
Das Resultat fand sein Gefallen:
"Ihr seht, es geht auch ohne Zwiebel."

Die Körpersprache sei sehr wichtig
sprach Jule, denn sie zeige richtig,
ob jemand zur Verdrossenheit
geeignet sei und auch bereit.
Drum hieß es jetzt: streng korrigieren
die Mimik und dazu die Gestik.
Ein Mopsgesicht zu generieren
war mir am Anfang etwas lästig.

Vor mir saß eine Tränentrine;
von deren Leichenbittermiene
und Frust ließ ich mich animieren .
So zog ich bald, nach Jules Wunsch,
grad wie ein Pudel, der begossen,
den schönsten Dauerregenflunsch,
wobei viel Rotz und Wasser flossen.
Schlaff ließ ich meine Schultern fallen
und jammerte bis zum Exzesse.
Der Meister sprach, ich hätt' von allen
die herrlichste Zitronenfresse.

Die Hausaufgabe hieß für morgen:
Um nix und wieder nix sich sorgen!
Denn grundlos maunzen sei ein Muss
für fortgeschrittenen Verdruss.
Fleißkärtchen gäb's für Zährenzählen,
und Sonderpunkte für Sich-Quälen.
"Kopf runter!" heiße die Devise,
dann sagte Jule: "Schlimme Nacht!
Heut habt ihr's jämmerlich gemacht!"
Er wünschte uns noch alles Miese,
dann ging ich schlechtgelaunt nach Haus.
Bald hatte ich die schönste Krise
und heulte mir die Augen aus.

Das Studium der Larmoyanz
hab ich erfolgreich abgeschlossen.
Jetzt fühle ich mich wie erschossen
und halte lustlos die Bilanz,
das Seufz-Diplom, in meiner Hand,
das meinen Allgemeinzustand
mit einem Satz zertifiziert:
"Er lamentiert jetzt wie geschmiert."

Mit Dank denk ich zurück an Jule
und seine tolle Jammerschule,
denn endlich, endlich darf ich sagen:
Es geht mir super - ich kann klagen.

 

 

 

Epilog:

Jüngst las ich dieses Inserat
groß aufgemacht im Wochenblatt:
"Verhalte, Mensch, dich anti-zyklisch,
hör auf zu jammern, werde glücklich
und lerne wieder fröhlich scherzen -
trotz oder wegen aller Schmerzen!
Bedenke, Lachen ist gesund,
wer Trübsal bläst, kommt auf den Hund.
Die Zukunft dominiert der Coole!
Drum - rein in Jules Frohmut-Schule!
Hier lernst du schneller als gedacht,
fidel zu sein - wär doch gelacht!"

 


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